Als wir die Krisenberatungsstelle des AKL in der Österbergstr. 4 betreten, führt man uns in einen kleinen Raum, der durch das Schrägdach noch zusätzlich kleiner wirkt. Hier sitzen insgesamt vier Jugendliche an Rechnern und beantworten Mails von Jugendlichen in Problemsituationen. Die Hilfe-suchenden schreiben dabei aber nicht etwa echte E-Mails von ihrem privaten Mailaccount aus, sondern müssen sich auf der Website der Online Beratungsstelle (www.youth-life-line.de) mit einem erdachten Nickname registrieren, um so völlig anonym bleiben zu können. Die vier von insgesamt 21 ehrenamtlichen "Jugend-Beratern" zwischen 16 und 19, die gerade Dienst haben, bekommen diese Mails dann ebenfalls auf einer Weboberfläche präsentiert und beantworten sie jeweils zu zweit an einem Computer, wobei sie sich für jede Zuschrift viel Zeit nehmen, auch wenn noch viele Mails unbeantwortet warten müssen. Denn jede ihrer Formulierungen kann mehrdeutig verstanden werden und auch wenn ein Satz zuerst völlig harmlos klingt, mag er beim zweiten Lesen schon viel negativer wirken und könnte so die Jugendlichen, die Jemanden zum Aussprechen suchen, vielleicht vor den Kopf stoßen. Aus diesem Grund werden die Antworten auf die Zuschriften auch immer gemeinsam verfaßt. In der Anfangsphase liest noch zusätzlich ein erfahrener Psychologe die Antworten der Teams, bevor sie an die Nutzer der Seite geschickt werden. Die Idee hinter diesem deutschlandweiten Pilotprojekt ist, daß Jugendliche sich mit ihren Problemen eher an Gleichaltrige wenden wollen, als an erwachsene Fachkräfte. Zudem ist die Schwelle der Überwindung vor dem Erstkontakt mit einer Beratungsstelle viel geringer, wenn dabei weder am Telephon die Stimme zu erkennen ist, noch ein persönliches Gespräch in der Beratungsstelle geführt werden muß. Die Jugendlichen können völlig anonym im WWW schriftlich ihre Probleme schildern und bekommen dann eine Antwort von den jugendlichen Beratern, die ungefähr im gleichen Alter sind wie sie selbst. Da bei den Beratern aus dem Team Probleme mit den Eltern, Schulstreß oder Liebeskummer noch aktueller sind, können diese sich besser in manche Situation hineinversetzen. Als wir zwei Helfer aus dem Team nach dem Grund für Ihre freiwillige Hilfe fragen, erfahren wir, daß sie von einer Erwachsenen Mitarbeiterin der Beratungsstelle aus Ihrem privaten Bekanntenkreis zur Mitarbeit motiviert worden sind. Ein Großteil der anderen Jugendlichen, die zum größten Teil aus Reutlingen stammen, geht dort gemeinsam in eine Klasse und wurde vom Klassenlehrer überzeugt. Als persönlichen Grund für die Mitarbeit nennen unsere Interviewpartner Ihre Bestürzung über die hohe Zahl der jährlichen Selbstmorde bei Jugendlichen und auch "das man dabei viel über sich selbst und den Umgang mit Menschen lernt". Natürlich können sie nicht alle Probleme lösen, doch in schwierigen Fällen können sie den Betroffenen an andere Stellen verweisen und ihm bewußt machen, daß er noch nicht alle Optionen genutzt hat. Damit die freiwilligen Helfer bei den Problemen, mit denen sie konfrontiert werden, nicht selbst in eine Krise fallen, wird das Projekt durch Herrn Barth von der Kinder- und Jugendpsychiatrie überwacht, der für die Uni eine Begleitforschung durchführt. Dabei soll u.a. ergründet werden, ob Jugendliche anderen Jugendlichen wirklich auf diese Weise helfen können, ohne dabei selbst Schaden zu nehmen. Vor und nach jeder Online Sitzung müssen die Jugend-Berater deswegen ein Formular ausfüllen, auf dem sie angeben wie sie sich gerade fühlen. Sobald ein Problem auftritt, können sie sich zudem an einen der betreuenden Psychologen wenden oder nach den Sitzungen ein Gruppengespräch führen. Um ihrer Klientel auch wirklich helfen zu können, haben alle Jugendberater zuvor an einer mehrwöchigen "Ausbildung" teilgenommen, die insgesamt mehr als 60 Stunden ihrer Freizeit in Anspruch genommen hat. Jeder der Jugendlichen aus dem Beratungsteam ist etwa alle 1,5 Wochen einmal für zwei Stunden in der Beratungsstelle und beantwortet Mails. Jugendliche in Problemsituationen, die diese Hilfe in Anspruch nehmen möchten, können jederzeit unter www.youth-life-line.de eine Mail an das Team schicken, die dann zu den Arbeitszeiten am Mo, Di, Do und Fr zwischen 16 und 18 Uhr beantwortet werden.
Fabian Everding, 21 und Theresa Beilschmidt, 19
Fabian Everding, 21 und Theresa Beilschmidt, 19